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Tiroler Schüler*innen von (Cyber-)Mobbing massiv betroffen. Was können Lehrer*innen und Eltern tun?

Belinda Mahlknecht

Geographer, University of Innsbruck

25. Oct.

2019

DOI: https://www.doi.org/10.34834/2019.0003

Key Words:

(cyber)mobbing
digitisation
social cohesion

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Tim [1] ist ein 17-Jähriger Schüler aus Tirol, seine Schulzeit war geprägt von massivem (Cyber-)Mobbing. Beleidigungen, Beschimpfungen, Belästigungen, Bloßstellungen und körperliche Gewalt, all dies erlebte er in seiner Schulzeit wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg. Seine Wertgegenstände wurden zerstört, auf seinen Werkkoffer wurde uriniert, anschließend verprügelten ihn seine Klassenkameraden. Auch im digitalen Raum (Facebook und Instagram) bedrängten ihn seine Mitschüler*innen massiv und drohten ihm Gewalt an. Zunehmende Hilflosigkeit sowie Suizidgedanken waren die Folge. Erst mit Abschluss seiner Schulzeit konnte er der physischen und psychischen Gewalt seiner Mitschüler*innen entfliehen.

 

Betroffene wie Tim trauen sich häufig aus Scham und Hilflosigkeit nicht, Eltern oder Lehrkräften von ihren Problemen zu berichten. Ein Opfer von (Cyber-)Mobbing zu sein, empfinden viele Betroffene als peinlich: Wer möchte schon dauerhaft und öffentlich als Opfer etikettiert werden? Mutmaßlich besser ist demnach, zu schweigen und die Mobbinghandlungen alleine zu ertragen. Und wer petzt, so denken viele Betroffene, wird ohnehin von den Klassenkammeraden schikaniert und ausgeschlossen.

Doch haben Lehrer*innen, Eltern und Freunde von Tim die Mobbinghandlungen wirklich nicht wahrgenommen? Oder sind sie über Lösungsstrategien und Anlaufstellen ungenügend informiert und waren deshalb einfach nicht in der Lage einzuschreiten und angemessen zu reagieren?

Die beschriebenen Mobbingpraktiken, die der Tiroler Junge ertragen musste, sind leider kein Einzelfall. Österreich scheint stark von Mobbing im schulischen Kontext betroffen zu sein. Im Zuge einer aktuellen OECD-Studie gaben mehr als ein Fünftel (21,3 %) der befragten Jugendlichen in Österreich an, in der Schule schikaniert zu werden (OECD 2015, 17). Zu (Cyber-)Mobbing liegen hauptsächlich quantitative Studien vor. Zu wenig Beachtung finden bislang qualitative Studien, die bei der Perspektive der am Cybermobbing beteiligten, davon betroffenen bzw. davon bedrohten Gruppen im schulischen Kontext ansetzen.

Für Lehrpersonen ist es äußerst schwierig, Ängste, Hilflosigkeit und Einschüchterung wahrzunehmen, die Schüler*innen oftmals stillschweigend ertragen, wenn sie Opfer von (Cyber-)Mobbing sind. Es bedarf ein hohes Maß an Empathie und Feingefühl, auf das Leiden der Betroffenen aufmerksam zu werden und zudem Mut und Know-how, um einzuschreiten und angemessen reagieren zu können.

Betroffenen Schüler*innen Hilfe anzubieten ist unerlässlich und kann ein Entkommen für die Opfer aus deren misslichen Lage bedeuten. Eine stärkere Einbindung von Eltern sowie von Schulen in Informationskampagnen, Präventionsmaßnahmen und Lösungsstrategien scheint in Österreich äußerst ratsam. Daher verweise ich auf folgende Institutionen, die eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene bieten, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eltern und Lehrkräfte können sich auch in Verbindung mit ihrer Schule oder der Schule ihrer Kinder an diese wenden. Die Institutionen bieten Vorträge, Workshops und Lernmodule an, die einen sicheren Umgang mit internetbasierten Medien lehren, wodurch es zu keinen Mobbinghandlungen kommen sollte bzw. die Kinder und Jugendlichen lernen, im Notfall richtig zu reagieren.

Die Institution 147 Rat auf Draht bietet für Kinder und Jugendliche sowie speziell für Eltern eine Telefonhotline und auch eine Chatberatung an, welche sich mit geschultem Fachpersonal wie Psychologen*innen und Sozialarbeiter*innen, um die akuten Probleme kümmern. Rechtlichen Beistand erhalten Betroffene bzw. Eltern bei der Kinder und Jugendanwaltschaft Österreich.

 

Kernmotivation meiner Forschungsarbeit

Ich selbst habe Lehramt an der Universität Innsbruck studiert und im schulischen Kontext Kinder und Jugendliche erlebt, die massiv (Cyber-)Mobbing ausgesetzt waren. Zudem lernte ich während eines Schulpraktikums einen Jugendlichen kennen, der aufgrund von Diskriminierung, Belästigung und psychischer Gewalt im digitalen Raum einen gescheiterten Suizidversuch unternahm. Die Erfahrungen die ich dort gesammelt habe, machten mir die Grausamkeit und Härte von (Cyber-)Mobbing, die eben auch in Tirol stattfindet, bewusst.

In meiner Diplomarbeit „Mobbing mit digitalen Medien“ unternahm ich den Versuch, mich diesem sehr sensiblen Thema anzunähern. Die wichtigsten Ergebnisse sowie Auszüge der beschriebenen individuellen Erfahrungen und Ängste der Schüler*innen sind in Zusammenarbeit mit meiner Betreuerin der Arbeit Tabea Bork-Hüffer in einem Artikel der Innsbrucker Geographischen Schriften veröffentlicht worden.

 (Cyber-)Mobbing ist ein globales Problem und es ist wichtig, dass wir uns dem bewusst sind und auch aktiv werden. Die Dringlichkeit zu handeln verdeutlicht auch das nebenstehende Video. Es zeigt die 15-Jährige kanadische Schülerin Amanda Todd, die sich 2012 das Leben nahm, nachdem sie über Jahre im Internet gemobbt, beleidigt, schikaniert und öffentlich bloß gestellt wurde. Vor ihrem Tod veröffentlichte sie auf YouTube ein neunminütiges Video, indem sie ihre Leidensgeschichte erzählt. Mit Hilfe von handgeschriebenen Kärtchen die sie in die Kamera hält, berichtet das Mädchen stillschweigend über ihre Geschichte.

%

... der Jugendlichen in Österreich sind von Mobbing betroffen (Quelle OECD, 2015)

Was können Betroffene tun?

  • Wenn Du gemobbt oder unfair behandelt wirst, schäme Dich nicht, denn das kann uns allen passieren!
  • Melde Probleme! Nimm Belästigungen und anstößige Inhalte nicht einfach hin, sonder informiere den Betreiber der Webseite. Vorfälle, die illegal sein könnten, solltest Du auf jeden Fall melden!
  • Solltest du Nachrichten auf Dein Handy oder PC bekommen, dann bewahre diese unbedingt auf (am besten durch Screenshots)! Du musst die Nachrichten nicht lesen, aber sie sind ein guter Beweis, dass du belästigt wirst!
  • Suche Dir Hilfe bei Freunden, Eltern oder auch externen Beratern. Die Mitarbeiter*innen von „147 Rat auf Draht“ haben viel Erfahrung und können Dir helfen, sie wissen wie man mit solchen Situationen umgeht. Melde dich doch einfach mal bei denen, z.B. per Mail oder Telefon: www.rataufdraht.at

Was können Lehrer*innen, Eltern und Mitschüler*innen tun?

  • Da sich viele Betroffene schämen oder es ihnen schlichtweg zu peinlich ist auf ihre schwierige Lage aufmerksam zu machen, ist es umso wichtiger, dass das soziale Umfeld sensibilisiert ist und selbständig Hilfe anbietet.
  • Sollte Dir auffallen, dass ein/e Mitschüler*in sich verändert hat (z.B. sich stärker zurück zieht, in den Pausen lieber alleine ist oder sich „versteckt“), dann suche in einem passenden Moment ein kurzes Gespräch. Frag wie es der Person geht und biete an, dass sich die Person gerne immer an Dich wenden kann. Du solltest nichts erzwingen, aber klar signalisieren, dass Du ein Ansprechpartner bist.
  • Solltest Du selbst mit der Situation überfordert sein, kannst Du das auch gegenüber der betroffenen Person erwähnen. Anschließend könnt Ihr Euch gemeinsam an eine Beratungsstelle wenden.

[1] Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit und wurde im Rahmen meiner Diplomarbeit erhoben. Der Name und alle weiteren Details, die konkrete Rückschlüsse auf Einzelpersonen geben, wurden zum Schutz der Jugendlichen verändert.

DOI: https://www.doi.org/10.34834/2019.0003

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Belinda has completed her Teachers Training diploma in Geography and History at the University of Innsbruck where she is currently doing her PhD. Belinda’s research focuses on pupils and their practices at the institution school as well as in the digital space, especially in the context of (cyber-)bullying.

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Belinda Mahlknecht

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